DAS EREIGNIS
- Sabine Reichel
- Mar 30, 2022
- 3 min read
Updated: Apr 1, 2022
Regie: Audrey Diwan - nach dem Buch von Annie Ernaux
Darsteller: Anamaria Vartolomei, Kacey Mottet Klein, Sandrine Bonnaire, Pio Marmai, Anna Mouglalis (u.a.)
Verleih: Prokino - Im Vertrieb von STUDIOCANAL (Frankreich, Länge 100 Min.) Originaltitel: L’ÉVÈNEMEN
RATING: ***** 5 of 5

Ich selber kenne persönlich viele ähnliche Geschichten von Frauen aus der Generation wie die im Film DAS EREIGNIS, das hier eben mal kein freudiges ist! Und sie erinnern sich wahrscheinlich besonders gut (meist mit Empörung und Wut) an das damals wie heute hochbrisante Thema Abtreibung, die mit Gefängnis und moralischer Ächtung bestraft und die Freiheit der Frauen, über ihren Körper zu bestimmen, wieder mal eliminierten. Nicht, dass sich viel geändert hat...
DAS EREIGNIS, ein wichtiger und radikaler Film der klaren Sprache, kommt mit einer einfachen Geschichte aus und ist deshalb umso wirkungsvoller. Wir sind in Frankreich, 1963, nicht im flotten Paris, sondern einer provinziellen Uni-Kleinstadt. Anne (Anamaria Vartolomei) eine eher kühl und zugeknöpft wirkende junge Frau, ist eine begabte Literaturstudentin, die eine vielversprechende Zukunft vor sich hat, auch wenn sie aus "einfachen Verhältnissen" kommt. Sie nimmt ihr Studium ernst, aber da gibt es ja auch noch die Verlockung von Sex (noch ohne Pille), und Anne hat eine sehr leidenschaftliche und liberale Ader.
Im Gegensatz zu ihren eher prüden Freundinnen, die lieber auf die Ehe warten, als "free sex" zu praktizieren, hat Anne einen wenig aufregenden one-night-stand und wird leider sofort schwanger. Sie sieht ihre Chancen schwinden, ihr Studium zu beenden und sich damit aus den Zwängen ihrer sozialen Herkunft zu befreien. Als sie einen Arzt aufsucht, mustert er sie wie eine Verbrecherin und weist sie feindselig darauf hin, dass er "solche" Sachen nicht tut, weil er sonst in den Knast geht. Dahinter stehen natürlich nur die typische Verlogenheit und Bigotterie von Kirche und Gesellschaft, eine der Hauptwaffen des Patriarchats.
Anne überlegt, wartet und wird mutlos - ihre spiessigen Freundinnen sind entsetzt über die "Sünde", die Abtreibung für sie darstellt und lassen sie in Stich. Die Wochen verstreichen, das Kind im Bauch wächst, die Abschlussklausuren stehen an. Anne entscheidet, ganz auf sich allein gestellt, endlich zu handeln, auch wenn sie dabei riskiert, zu sterben und/oder ins Gefängnis zu kommen. Aber selbst wenn sie ihre Freiheit mit Blut bezahlen müsste, hat Anne nur ein Ziel: sie will nicht Mutter werden, "ich will schreiben!" erklärt sie ihrem Lieblingsprofessor (ein Mann natürlich).
"Es ist die Art von Krankheit, die nur Frauen trifft", antwortet sie kalt und bitter, als sie jemanden auf ihrer Odyssee nach Hilfe fragt, ob sie denn krank sei. Wie wahr das doch immer noch ist! "Mein Bauch gehört mir!" brüllten wir Frauen zwar bereits 1967 in Demos auf den Strassen, und doch leben wir in einer Zeit, in der das Recht auf die weibliche Selbstbestimmung selbst innerhalb Europa und Amerika immer wieder unter Beschuss gerät. Gerade deshalb ist DAS EREIGNIS ein wichtiger, zu Diskussionen anregender Film.
„Ich kam aus dem Screening von DAS EREIGNIS und war sehr bewegt, weil Regisseurin Audrey Diwan einen wirklich wahrhaftigen Film gedreht hat. Er behauptet nichts, verurteilt niemanden und neigt nicht zur Dramatisierung dessen, was damals geschah‘“, sagt Annie Ernaux selber, auf deren autobiographischem Buch DAS EREIGNIS basiert. (Obwohl das Buch bereits im Jahr 2000 in Frankreich erschien, folgte die deutsche Ausgabe erst im September 2021 beim Suhrkamp Verlag). Beim Filmfestival von Venedig 2021 setzte sich das bewegende Drama der Regisseurin Diwan sogar gegen die Filme von Paolo Sorrentino und Pedro Almodóvar durch und wurde mit dem Goldenen Löwen als „Bester Film“ geehrt. Zu Recht!
TRAILER:
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